Tipps und Tricks von Estelle

Die Wermatswilerin Estelle Wettstein wäre eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen auf den einzigen Schweizer Dressurquotenplatz an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio gewesen. Als eine der wenigen hiesigen Reiterinnen ist sie sowohl im Dressur- als auch im Springsattel bis Grand Prix erfolgreich. In einer Serie verrät sie in den kommenden Wochen wertvolle Tipps und Tricks, wie Dressurlektionen erarbeitet werden können.

1. Halten Bei der ganzen Parade wird mit den Schenkeln die Hinterhand unter den Schwerpunkt getrieben und mit den Zügeln das Vorwärts abgefangen. Dabei soll das Pferd gleichmässig auf allen vier Beinen stehen sowie gerade und ruhig an den Hilfen bleiben.

 

Das Halten trainiere ich mit meinen Pferden nicht spezifisch, sondern baue es immer mal wieder in die Arbeit ein. Mit jungen oder unerfahrenen Pferden kann man das auch sehr gut zuerst an der Hand üben oder sich vom Boden aus helfen lassen. Wichtig ist, dass man in der Halteparade mit dem Sitz ruhig beim Pferd bleibt und es nicht alleine lässt. Wenn ein Pferd nicht stehen bleibt, dann erziehe ich das gerne an, indem ich es mit einem Finger am Hals kraule. So konzentriert es sich auf meine Berührung und nicht aufs Weiterlaufen. Sollte das Pferd Mühe haben, gerade zu bleiben, kann man es auch erstmal an der Wand probieren. Um den Halt auf der Mittellinie zu üben, lege ich zwei Stangen pa - rallel bei X hin, damit das Pferd auf beiden Seiten eine Begrenzung hat. Das ruhige Stehenbleiben hat auch ein wenig mit Erziehung zu tun, während andere Lektionen vielleicht mehr mit Training oder Kraft zusammenhängen. Deshalb reite ich zum Beispiel immer vor dem Absteigen auf die Mittellinie, lasse das Pferd anhalten und steige erst ab, wenn es ruhig und geschlossen stehen bleibt.

Aus dem korrekten Halt holt sich Estelle Wettstein die Aufmerksamkeit des Pferdes, indem sie sich deutlich aufrichtet. Daraus erfolgt das Rückwärtsrichten. Fotos: Anna Stuppia Aus dem korrekten Halt holt sich Estelle Wettstein die Aufmerksamkeit des Pferdes, indem sie sich deutlich aufrichtet. Daraus erfolgt das Rückwärtsrichten. Fotos: Anna Stuppia

2. Rückwärtsrichten Beim Rückwärtsrichten sollte das Pferd diagonal abfussen, dabei sicher in der Anlehnung bleiben und sich möglichst gerade rückwärts bewegen. Idealerweise senkt es dabei die Kruppe, wölbt den Rücken auf und beugt die Hanken vermehrt.

Für das Rückwärtstreten müssen die Pferde koordinativ gut sein. Deshalb ist es hilfreich, wenn sie es schon von der Bodenarbeit kennen. Möchte man das Rückwärts dann vom Sattel aus trainieren, ist es sinnvoll, jemanden zur Seite zu haben, der die dem Pferd bereits bekannten Hilfen vom Boden aus gibt. Die Hilfegebung gestalte ich wie folgt: Ich halte an und richte mich deutlich auf, um die Aufmerksamkeit des Pferdes auf mich zu lenken. Sobald ich diese habe, lege ich das Bein an. Wenn ich nur an den Zügeln ziehen würde, wird das Pferd zu eng im Hals und blokkiert dadurch den Rücken. In dieser Haltung ist ein korrektes Rückwärts unmöglich. Eine gute Übung, um das Rückwärtstreten beweglicher zu machen, ist ein «Schaukeln». Also zum Beispiel Halt – Rückwärts – Vorwärts und dann aus dem Vorwärts direkt wieder ins Rückwärts. Sollte beim Rückwärtsrichten ebenfalls das Problem mit dem Schiefwerden auftreten, können auch hier Stangen zu Hilfe gezogen werden.

«Die Lektionen ergeben sich von selbst»

«Die Lektionen ergeben sich von selbst»

Die Wermatswilerin Estelle Wettstein wäre eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen auf den einzigen Schweizer Dressurquotenplatz an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio gewesen. Als eine der wenigen hiesigen Reiterinnen ist sie sowohl im Dressur- als auch im Springsattel bis Grand Prix erfolgreich. In einer Serie verrät sie in den kommenden Wochen wertvolle Tipps und Tricks, wie Dressurlektionen erarbeitet werden können.

Anna Stuppia

Im Interview gibt Estelle Wettstein einen Einblick in ihre Arbeit mit den Pferden.

«PferdeWoche»: Wie beginnen Sie die Ausbildung eines jungen Pferdes?

Ich übernehme die Pferde meistens, wenn sie bereits eingeritten sind. Wenn ein vier- oder fünfjähriges Pferd zu mir kommt, ist es mir wichtig, dass ich es auf allen Ebenen ausbilde. Ein Dressurpferd soll Stangen treten und einen Sprung machen können, während für ein Springpferd die dressurmässige Ausbildung genauso wichtig ist. Es geht mir nicht darum, dass ein Pferd direkt Lektionen lernt. Vielmehr fördere ich die Entwicklung des Körpers, damit diese Aufgaben dem Pferd nachher ganz einfach fallen. Auch ins

Gelände gehen meine Pferde oft. Mir ist es wichtig, dass junge Pferde aber vor allem auch Pferd sein dürfen.

Gibt es trotzdem Unterschiede in der Ausbildung eines Dressur-/ Springpferdes?

Was bereits ganz grundlegend einen Unterschied macht, ist der Gedanke, welches Ziel man verfolgt. Junge Springpferde springt man bereits und geht früh auf

Mir ist es wichtig, dass junge Pferde aber vor allem auch Pferd sein dürfen.

Turniere. Ich selbst aber gehe mit meinen Nachwuchsdressurpferden selten auf Turniere. Viel eher trainiere ich auf fremden Plätzen und stelle Prüfungssituationen nach. Wenn ich auswärts reite, rede ich mit anderen Reitern und

frage sie nach ihrer Meinung. So bekommt man auch eine Rückmeldung. Ich reite hin und wieder ein Turnier, um abzuschätzen, wie die Jungpferde mit der Atmosphäre zurechtkommen. Wenn sich ein Pferd auswärts gut und sicher präsentiert, arbeite ich lieber an der Ausbildung und nicht strikt an den Lektionen, die ergeben sich von selbst. Nicht jedes Pferd ist im gleichen Alter auf demselben Ausbildungsstand. Ich glaube, das ist in der Dressur grundlegend anders als im Springen: Im Springen fängt man irgendwo an und geht dann höher und höher. Da kann man den Weg auf den Turnieren mitmachen. In der Dressur kann

man manchmal nicht sagen, was das Pferd zuerst lernt. Es sagt einem von den körperlichen Voraussetzungen schon, was ihm einfacher fällt und was schwerer. Klar, man muss eine gewisse Basis haben und man muss diese Sachen erreiten wollen, aber es nicht erzwingen. Was zuerst kommt, kommt zuerst. Die Basis, dem Pferd einen Ablauf und ein Sys tem zu geben, wo es sich daran festhalten kann, ist überall grundsätzlich dasselbe – egal ob Spring- oder Dressurpferd.

Was sind für Sie Voraussetzungen für einen ersten Start in der Dressur?

Für einen ersten Start muss man einfach mal Freude haben am Sport. Man muss von sich aus starten wollen und natürlich ein gesundes Pferd haben. Für einen unerfahrenen Reiter ist es bestimmt von Vorteil, auf ein et-

Aktuell das erfolgreichste Schweizer Dressurpaar: Estelle Wettstein und West Side Story. Aktuell das erfolgreichste Schweizer Dressurpaar: Estelle Wettstein und West Side Story.

was erfahreneres Pferd zählen zu können. Auch jemand Vertrautes zu haben, der einem die Basis mitgeben kann und Sicherheit gibt, ist wichtig. Aber sonst braucht es nicht viel. GAProgramme bestehen grundsätzlich daraus, Linien und die drei Grundgangarten zu reiten. Man sollte sich nicht verbeissen, sondern einfach mal losgehen und ein Feedback einholen.

Thema dressurmässige Arbeit für Springpferde und -reiter …

Wenn man die guten Springreiter anschaut, dann sieht man, dass praktisch alle Pferde dressurmässig gearbeitet werden. Paraden, Aufrichtung oder wie die Springreiter mit ihrem Sitz arbeiten, das sind ja alles Hilfen, die auf einer guten Grundausbildung aufbau - en. Die Einwirkung beim Springreiten ist etwas anders. Deshalb, glaube ich, gibt es beim Springen auch einige Reiter, die etwas un

ruhiger aussehen. Aber nur weil einer nicht so elegant draufsitzt, muss er nicht gezwungenermassen schlecht Dressurreiten. Es geht darum, dass man gut mit dem Pferd kommuniziert und die Hilfengebung effizient ist. Man kann mit einem Springpferd viele gymnastizierende Übungen machen, die einem später im Parcours zugutekommen. Ich mache beispielsweise viele Basisübungen: Linien, Diagonalen, Über

Es geht darum, dass man gut mit dem Pferd kommuniziert und die Hilfengebung effizient ist.

gänge, Volte verkleinern/vergrössern, Kruppe wenden, Zulegen/ Aufnehmen. Das tut jedem Pferd gut.

Auf welche Pferde können Sie derzeit zählen?

Im Moment habe ich tatsächlich deutlich weniger Springpferde, da ich in der Dressur einfach mehr Sponsoren habe. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich so viele tolle Dressurpferde habe. Als Erstes ist da bei den Dressurpferden West Side Story. Sie ist zwölf Jahre alt und ein absolutes Ausnahmepferd – so ein liebes Pferd kann man sich kaum erträumen. Sie gibt einfach alles, wenn man sie auf ihrer Seite hat. Sie ist meine Nummer eins. Quater Boy ist ein zehnjähriger

Oldenburger, der eigentlich schon alles ein wenig konnte, als ich ihn übernommen habe. Trotzdem gab es noch einige körperliche Defizite: Er war innerlich immer etwas nervös und hatte Mühe, sich zu sortieren. Deshalb wollte ich ihm einfach die Zeit geben, um Kraft zu entwickeln, bis er sich wohlfühlt in diesen Lektionen. Jetzt habe ich ihn in Bern das erste Mal im Grand Prix geritten. Er ist nach wie vor noch etwas nervös auf dem Turnier. Ich möchte ihn so weit bringen, dass er – egal was kommt – da ist und weiss, worum es geht. Erst dann kann er alles ohne extremen Kraftaufwand und Stress abrufen. Great Escape Camelot ist neun Jahre alt und auch eher noch etwas im Hintergrund, ähnlich wie Quater Boy. Er kann bereits alles, aber ich reite vorerst noch Inter II, da der Grand Prix einfach noch ein zu grosser Kraftaufwand ist für ihn. Donauwelle habe ich vor gut einem Jahr übernommen. Er geht bereits Turniere, hat jedoch auf jeden Fall noch sehr viel mehr Potenzial in seinem Körper. Da er ein relativ grosses Pferd ist, gibt es koordinativ noch einige Sachen zu erarbeiten. Er kennt die

Programme, führt alle Lektionen aus, aber ich versuche noch, ihn in den Bewegungen lockerer zu machen, damit alles selbstverständlicher wird für ihn. Ich denke, er ist ein sehr interessantes Pferd, das noch sehr viel besser werden kann. Ganz spannend, weil er ein unglaublich liebes Pferd ist, das sich sehr viel Mühe gibt. Donna Domani haben wir vierjährig gekauft. Sie hatte zu Beginn koordinative Schwierigkeiten. Deshalb haben wir sie anfangs vermehrt gesprungen. Jetzt ist sie bereits sieben Jahre alt, und ich denke, dass ich sie bis Ende Jahr auf M-Niveau haben werde. Auch sie kann alles, benötigt aber einfach noch Zeit in der körperlichen Entwicklung. Meine beiden Springpferde sind aktuell Jordan B, ein zehnjähriger Irländer, der schon bis 145 Zentimeter platziert ist, und der achtjährige Clabautermann. Er ist mein ers - tes eigenes Pferd, das wirklich mir gehört. Mit ihm plane ich die ersten S-Prüfungen und ich glaube, dass er ein ganz spannendes Pferd für höher werden könnte. Clabautermann läuft auch ganz schön Dressur, der könnte bis St. Georg alles. Weil ich nicht alle Pferde behalten kann und auch vom Verkauf lebe, ist Jordan eigentlich ein Verkaufspferd. Er wäre bestimmt ein tolles, unkompliziertes Amateurpferd.